20. November 2019 - Vorsitzender Manfred Treml gratuliert in Deggendorf zu 40 Jahren Geschichtsverein
Ein Grußwort zum Nachlesen
Am 20. November 2019 fand in Deggendorf die Feier anlässlich des 40jährigen Bestehens des Geschichtsvereins statt, zu welcher der 1. Vorsitzende Dr. Ernst Schütz nicht nur Staatsminister Bernd Sibler (selbst Mitglied dieses Vereins), sondern auch Prof. Manfred Treml für den Verband bayerischer Geschichtsvereine sowie Dr. Johannes Mötsch für den Gesamtverein deutscher Geschichts- und Altertumsvereine eingeladen hatte. Der Verein nutzte zudem die Feier, um seine Verbundenheit mit verwandten Vereinen, mit denen schon seit längerer oder kürzerer Zeit Austauschbeziehungen bestehen, zu vertiefen. Noch nie hatten sich in Deggendorf so viele Vorsitzende und Vertreter anderer Geschichtsvereine versammelt wie an diesem Tag, unter ihnen die 1. Vorsitzenden bzw. Vorstandsmitglieder des Historischen Vereins für Niederbayern (Dr. Martin Rüth, Leiter des Staatsarchivs Landshut), des Vereins für Ostbairische Heimatforschung Passau (Dr. Helmut Böhm), des Historischen Vereins für Straubing und Umgebung (Studiendirektor a.D. Alfons Huber), des Kultur- und Geschichtsvereins Vilshofen (Dr. Herbert Wurster), des Historischen Vereins Falkenfels (Harry Stretz), des Arbeitskreises Heimatgeschichte Mitterfels (Elisabeth Vogl) und des Geschichts- und Kulturvereins Eging am See (Daniela Voggenreiter).
Neben Staatsminister Sibler, der den Beitrag des Vereins zur Entwicklung des Geschichtsbewusstseins in der Region würdigte, und Dr. Mötsch, dessen Auftritt in Deggendorf eine seiner ersten Amtshandlungen seit der Übernahme von Manfred Treml darstellte, richtete auch unser Verbandsvorsitzender ein Grußwort an die etwa 100 Anwesenden; wiewohl auf Deggendorf gemünzt, zeigt es doch Befindlichkeiten auf, welche in allen Mitgliedsvereinen vertraute Gedanken wecken und kann somit generell als Denkanstoß für die Arbeit unserer Geschichtsvereine dienen:
40 Jahre sind für einen Verein zwar noch kein wirkliches Jubiläumsdatum, aber am Menschenalter gemessen befindet er sich immerhin in den besten Jahren.
Vor allem aber ist er in bewundernswert guter Verfassung, wie die heutige Veranstaltung und der Jubiläumsband sicher mehr als deutlich werden lassen.
Bei jeder dieser Feiern treibt mich eine Frage immer wieder um. Warum machen Sie, warum machen wir das alles?
Warum opfern wir viele Stunden Lebenszeit, um Jahrbücher zu produzieren, Vorträge zu halten, Exkursionen zu leiten, Schülerprojekte zu betreuen etc. pp.?
Ist es vielleicht doch nur bildungsbürgerliche Gschaftlhuberei, der Drang zur Selbstbestätigung für „alte weiße Männer?
Für Deggendorf muss ich angesichts des „jugendlichen „ Vorsitzenden allerdings gestehen, stimmt das ganz sicher nicht.
Produzieren wir alle in Wahrheit nicht längst an einer Gesellschaft vorbei, die im unteren Drittel von der Angst vor sozialem Abstieg und im oberen Drittel von einem hemmungslosen Hedonismus geprägt ist?
Kann das Bemühen um Geschichtsbewusstsein noch Bestand haben angesichts einer überbordenden Medienflut und einer schier unersättlichen Eventmentalität?
Genug der Fragen! Sie ahnen ohnehin, dass ich sie nicht mit Ja beantworten will. Aber ganz rhetorisch sind sie auch nicht gemeint.
Aber ich bin nämlich hartnäckig genug – immer noch ein echter Niederbayer - , dem Zeitgeist auch zu widerstehen und dies mit ein Paar vielleicht für manche altmodisch wirkenden Gedanken zu unterstreichen.
Und wenn ich mir dabei bei antiken Denkern Anleihen hole,
ist das bei Zeitgenossen, die Griechisch ohnehin für überflüssig halten und inzwischen auch Latein abschaffen wollen, geradezu anstößig. Sie wollen die Lehrpläne umgestalten zugunsten von MINT, Wirtschaft und Recht etc., ohne wohl zu ahnen, dass auch diese Fächer ihre Wurzeln in der Antike haben, nicht nur die Namen – Mathematik, Physik, Ökonomie, Jurisprudenz ....
Was also kann Geschichte leisten?
Für Thukydides ist sie ein „ktäma eis aei“, ein Besitz für immer, ein wertvoller Ratgeber und Wegweiser.
Auch Cicero spricht von ihr als „Magistra Vitae“. Für ihn,
der sich an hellenistischen Vorbildern – vor allem an Polybios – orientierte, ist sie aber zugleich ein wesentlicher Bestandteil der Redekunst, eine Art Beispielsammlung, derer sich der Redner bedient, um durch sie zu belehren. So wird Geschichte zum Argumentationspotential, ein Funktion, in der sie bis heute tagtäglich gebraucht und missbraucht wird.
Mit seiner weit ausholende Zuschreibung als „testis temporum, lux veritatis, vita memoriae, nuntia vetustatis“ (Zeuge der Zeiten, Licht der Wahrheit, lebendige Erinnerung, Botschafterin des Altertums) wirkt Cicero weiter bis hinein in die christliche Geschichtserfahrung und damit letztlich bis in unsere Zeit.
Und daher hat Geschichtswissen auch für unsere Zeit noch erhebliche Bedeutung.
Es kann den Blick zu schärfen für die großen Tendenzen der longue durée,
es kann uns typische Verlaufsformen wie revolutionäre Prozesse , industrielle und technische Entwicklungen etc. erkennen lassen,
es kann konstante Faktoren ermitteln helfen etwa im Verhalten von Staaten, Nationen oder Gesellschaften und
es kann historische Bedingungen gegenwärtiger politischer Situationen bewusst machen.
Die Geschichte tritt uns dabei entgegen - so der Historiker Jeismann – „als ein auf Überreste und Tradition gestützter Vorstellungskomplex von Vergangenheit, der durch das gegenwärtige Selbstverständnis und durch Zukunftserwartungen strukturiert und gedeutet wird.“
Und da dies alles auch für die regionale Geschichte gilt, mit der sich die Geschichts- und Heimatvereine bevorzugt beschäftigen, kann ich Sie nur zu einem beherzten „Trotzdem“ ermuntern.
Fernab kulturkritischer Klagen gilt es, selbstbewusst das „Lux veritatis“ weiter leuchten zu lassen, das „ktäma eis aei“ auch den künftigen Generationen zu sichern.
Dann wird das nächste Jubiläum des Deggendorfer Geschichtsvereins, von mir aus das 80te, ein dankbares Publikum finden und von der nächsten und übernächsten Alterskohorte zuverlässig und engagiert getragen sein.
In diesem Sinne: Ad multos annos!