80 Jahre Verein und Institut für Ostbairische Heimatforschung am 20.10.2006 in Passau

Der Schirmherr, Prof. Dr. Manfred Treml, Vorsitzender des Verbands Bayerischer Geschichtsvereine sprach das folgende Grußwort.

Grußwort

Ich überbringe Ihnen die herzlichen Glückwünsche des Verbands der bayerischen Geschichtsvereine und des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertumsvereine, der beiden Dachverbände also, die in schwierigen Zeiten, wie sie die Landes- und Regionalgeschichte gegenwärtig erlebt, wichtiger denn je geworden sind.

Bayern, einst ein Leuchtturm landesgeschichtlicher Forschung und Lehre für alle anderen Länder der Bundesrepublik, läuft gegenwärtig unter dem Vorzeichen der Autonomie der Hochschulen Gefahr, einem seit Jahrzehnten gepflegten Wissenschaftsverständnis untreu zu werden.

Rückstufungen und Zusammenlegungen landesgeschichtlicher Lehrstühle und Professuren gehören zu Normalfall, meist von inneruniversitären Eigennutz getragen und einem grassierenden Modernisierungswahn getrieben.

Die Universität Passau – leider lässt sich dies auch oder gerade bei einem Jubiläum nicht ausblenden - liefert inzwischen das traurige Beispiel einer völligen Abwicklung der Fächer mit regionalem Bezug (Landesgeschichte, Volkskunde, Archäologie der Römischen Provinzen, Regionale Geographie?).

Damit ist Niederbayern der erste Regierungsbezirk Bayerns, dessen Geschichte und Kultur nicht mehr durch qualifizierte akademische Einrichtungen erforscht und gepflegt wird.

Auf der Homepage der Universität ist zu lesen:

„Das Fach "Bayerische Landesgeschichte" wird an der Universität Passau von allen Geschichtsprofessoren betreut. Es kann im Magisterstudiengang als Haupt- und Nebenfach studiert werden [...] Bis zum Wintersemester 2000/1 gab es an der Universität Passau eine eigene Professur für Neuere Geschichte und Bayerische Landesgeschichte. Deren Inhaber, Prof. Lanzinner, hat zum 1.4.2001 einen Ruf an die Universität Bonn angenommen. Den Kontakt zu ihm vermittelt Frau Diewald […]. Die bisherige Passauer Homepage von Prof. Lanzinner bleibt erhalten, wird aber nicht mehr aktualisiert. Es besteht die begründete Hoffnung, dass demnächst eine Honorarprofessur zur Bayerischen Landesgeschichte eingerichtet wird.“

Soll so die Zukunft der Landesgeschichte in Bayern aussehen?

Der Hintergrund für diese Entwicklung ist nicht schwer auszumachen:

Ein hybrider Exzellenzanspruch, der nur den Naturwissenschaften, den Mammutuniversitäten und einer effizienz- und anwendungsorientierten Forschung dient, hat offensichtlich die Geister vernebelt. Den Studenten an einer mittelgroßen Universität aber nützt dieses übersteigerte Leitbild wenig; es wird sie weder auf die Höhen der Elite führen noch zu einem grandiosen Design von Alleinstellungsmerkmalen führen.

Das betrübliche Ergebnis ist vielmehr – und das nicht nur in Passau - die Marginalisierung der Geisteswissenschaften insgesamt. Den neuen Standards einer forcierten Globalisierung und Ökonomisierung, verschärft durch die grassierende Bachelorisierung werden die Regionalwissenschaften, und mit ihnen die Landesgeschichte, erliegen.

Erlauben Sie mir dazu auch eine persönliche Anmerkung: Für mich ist die Universität kein Marktplatz, der von Konkurrenz und Gewinnstreben bestimmt wird, meine Studenten waren nie meine Kunden, die von mir Waren beziehen. Ich halte es da immer noch - sicher nicht zeitgemäß – mit der alten Maieutik, der pädagogischen Hebammenlehre des Sokrates, der seine Schüler zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten bringen wollte. Für mich hat die Tätigkeit eines Hochschullehrers immer noch mit pädagogischem Eros, mit wissenschaftlichem und nicht nur mit Angebot und Nachfrage, Ethos und gesellschaftlicher Verantwortung zu tun!

Aber auch außerhalb unserer Hochschulen hinterlässt der Zeitgeist eines blindwütigen Ökonomismus bereits tiefe Spuren.

Kaum ist der Geschichtsunterricht an Gymnasien gesichert, bedroht eine massive Veränderung des Denkmalschutzgesetzes unsere Baudenkmäler in bisher kaum vorstellbarer Weise.

Und auch die Bodendenkmalpflege darbt wie nie zuvor, die regionale Museumsförderung hat ebenfalls bedrohliche Einbußen hinnehmen müssen.

Der Kulturstaat Bayern kann aber auf weder auf kompetente Denkmalpflege und Museumsberatung noch auf die universitäre Landesgeschichte verzichten, weder auf ihre wissenschaftlichen Methoden noch auf ihren Beitrag zur regionalen Identität. Wer dies ändern will, muss wissen, dass er damit nicht nur das historische Gedächtnis unseres Landes beschädigt, sondern auch einem regionalen Geschichtsbewusstsein den Boden entzieht, von dem das tradierte bayerische Selbstverständnis existenziell abhängt.

Wer künftigen Geschichtslehrern eine fundierte landesgeschichtliche Ausbildung verweigert, nimmt künftigen Generationen nicht nur ein fundamentales Identifikationsangebot, sondern legt auch die Axt an den deutschen Föderalismus.

Trösten kann es auch nicht, dass jenseits der Grenzen Bayerns die Alarmglocken noch lauter schrillen:

Das Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande in Bonn ist im 85sten Jahr seines Bestehens stillschweigend aufgelöst worden und hat sein Ende mit einem Fachkolloquium begangen.

Das Institut für vergleichende Städtegeschichte in Münster steht auf der Kippe und der diesjährige Historikertag in Konstanz hatte unter den insgesamt 70 Sektionen keine einzige landesgeschichtliche aufzuweisen.

Der Gesamtverein hat daher wenigstens mit einem „Abend der Landesgeschichte“ versucht, das Fähnlein hochzuhalten, allerdings außer Konkurrenz und mit einem von ihm finanzierten Zusatzangebot.

Der Verband bayerischer Geschichtsvereine und die in ihm zusammengeschlossenen über 200 Historischen Vereine, die auf dem Felde der regionalen Geschichtspflege seit langem tätig sind, wollen keine Zukunft, in der an die Stelle eines fundierten Geschichtsbewusstsein ein bayerischer Kommerz-Folklorismus tritt, und sie wollen mit ihrem ehrenamtlichen Engagement auch künftig langfristige Lern- und Identifikationsprozesse unterstützen und nicht kurzzeitigen Verwertungsinteressen dienen.

Die Ausführungen des Bayerischen Ministerpräsidenten zur Eröffnung einer Ausstellung, die sich dem eher marginalen Ereignis der Erhebung Bayerns zum Königreich widmete, lassen immerhin hoffen.

„Geschichte, und ganz besonders Bayerische Landesgeschichte, ist und bleibt daher eine wichtige und lohnende Aufgabe für die Forschung und die Lehre an unseren Universitäten. Aber auch die vielen lokalen Geschichtsvereinen mit ihren engagierten Mitgliedern leisten für die Vermittlung unserer Regional- und Landesgeschichte enorm viel. Sie alle helfen mit, dass uns unsere Geschichte lebendig und begreifbar bleibt.

Ich danke deshalb allen, die sich für die Pflege des bayerischen Geschichtsbewusstseins einsetzen. Landesgeschichte ist nach Überzeugung der Bayerischen Staatsregierung und auch nach meiner persönlichen Überzeugung ein notwendiger Teil der bayerischen Identität und ein unverzichtbarer Bestandteil des allgemeinen Bildungsauftrags unserer Schulen.“

Wir hören diese Worte – und wollen nun auch Taten sehen.

Oder noch besser – wir tun es selbst!

Angesichts der wenig begeisternden Lage wächst nämlich dem ehrenamtlichen Bürgerengagement und damit auch den Historischen Vereinen unerwartete Bedeutung zu.

Sie sind nämlich nach wie vor besonders zuverlässige Garanten für ein regionales Geschichtsbewusstsein.

Die Kassandrarufe, die ihnen als überholte bürgerliche Relikte eine baldiges Ende prophezeiten, sind längst verhallt, die Zerrbilder von den spießigen Honoratiorenclubs oder den langweiligen Versammlungen der Ewiggestrigen spielen kaum mehr eine Rolle.

Sie fügen sich ein in eine bezeichnende Negativliste, die in den 60er und 70er Jahren zum Standardprogramm einer antibürgerlichen Gesellschaftskritik gehörte und nur in Nachklängen gelegentlich noch zu vernehmen ist.

Wie viele unserer Kultureinrichtungen sind die Geschichtsvereine in der Tat Kinder der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Produkte einer fruchtbaren Bürgerkultur, derer wir uns keineswegs zu schämen brauchen.

Ohne das bildungsbürgerliche Engagement der Historischen Vereine nämlich sähe unsere regionale Kulturlandschaft sehr viel bescheidener aus, wäre es um die Geschichtskultur unseres Landes weitaus schlechter bestellt.

Die beeindruckenden Leistungen des nunmehr 80-jährigen Vereins und Instituts für Ostbairische Heimatforschung bestätigen dies in bemerkenswerter Weise.

Bundesweit einmalig ist nämlich die hier seit Jahrzehnten gepflegte und fruchtbare Verbindung von Forschung und Vermittlung.

Zukunftsweisend ist auch die auf die historische Tradition des Bistums Passau gegründete grenzüberschreitende Ausrichtung.

Forschungsförderung ist selbstverständliche Praxis, durch eine stattliche Bibliothek ebenso wie durch die Ausrichtung von Symposien und die Förderung von Dissertationen.

Immerhin wird in Passau seit Jahrzehnten praktiziert - ich anerkenne dies neidlos – was der Gesamtverein mit der Verleihung eines landesgeschichtlichen Forschungspreis erstmals in diesem Jahre in Leipzig unternimmt.

Besonders vorbildlich erscheint mir der Nachwuchsförderpreis, mit dem der Verein im besten Sinne in die Zukunft investiert. 

Dazu kommen hochrangige Vorträge, Exkursionen, Stadtführungen und nicht zuletzt das „Historische Stichwort“ in der Passauer Neuen Presse, die eine stete Brücke zwischen Wissenschaft und Volksbildung herstellen.

Das inzwischen bis zum 47sten Band gediehene „Jahrbuch“ belegt die fruchtbare wissenschaftliche Kontinuität ebenso wie die Fülle der weiteren landes- und stadtgeschichtlichen Veröffentlichungen.

Und mit der 2004 in der zweiten Auflage erschienenen Stadtgeschichte Passaus krönen Verein und Institut ihre Leistungsbilanz mit einem Glanzlicht von besonderer Strahlkraft.

So bestätigen Verein und Institut für ihre historische Landschaft in überzeugender Weise, was Erich Maschke hat schon vor über 20 Jahren für die Leistung der historischen Vereine in ihrer Gesamtheit festgestellt hat:

„Aber man stelle sich einmal vor, die Hunderte landesgeschichtlicher Zeitschriften,..., hätte es nie gegeben. [...] Ein unerschöpfliches Quellenmaterial wäre unzugänglich, [...] Die Verarmung der deutschen Geschichtswissenschaft wäre unvorstellbar.“

Verein und Institut für Ostbairische Heimatforschung haben sich damit unschätzbare Verdienste erworben für die Wissenschaftspflege ebenso wie für die Volksbildung. Sie haben aus selbstlosem bürgerlichem Engagement gehandelt und setzen damit auch Zeichen für ein sinnstiftendes soziales Handeln, das für die Erhaltung unserer Regionalkultur unverzichtbar ist.

Damit werden sie durchaus auch dem Urteil des großen Historikers Franz Schnabel gerecht, das dieser 1952 zum hundertjährigen Jubiläum des Gesamtvereins formuliert hat:

„Es ist der Ruhm unserer Vereine, dass ihnen die Beschäftigung mit der Geschichte niemals Selbstzweck und niemals ein müßiges Spiel gewesen ist. Immer war es ein echtes Bedürfnis des Lebens, wenn in einer Stadt, einem Kreise, einer Provinz, einem Territorium Männer und Frauen, die im Leben standen, sich zusammengeschlossen haben im gemeinsamen Interesse an der Geschichte der Heimat [....]“

Agieren Sie also unverdrossen - allen Widrigkeiten eines kurzsichtig effizienzorientierten und ökonomisierten Zeitgeistes zum Trotz – weiterhin

mit der Vergangenheit vertraut, der Gegenwart verpflichtet und für die Zukunft aufgeschlossen.

Herzlichen Glückwunsch! Ad multos annos! 

Prof. Dr. Manfred Treml